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Das Impostersyndrom oder: "Was kann ich eigentlich?"

Werte Mitadmins,
ich würde mich heute gerne mit einem mir wichtigen Thema an euch wenden.

Ich bin 40 Jahre alt und seit 21 Jahren als Netzwerkadmin tätig, kein Studium, aber davor die abgeschlossene Ausbildung als Fachinformatiker.
Wie es der Zufall will, bin ich immer bei Unternehmen gelandet, die keinerlei Wert auf Ausbildung oder gar Zertifikate legten, bei meinem letzten Arbeitgeber war ich 14 Jahre als Netzwerkadmin im Windows Server/Virtualisierungsbereich tätig und habe auch ansonsten alles von 1-3rd Level gemanaged. Leider wurde mein Arbeitgeber aufgekauft und die IT (also ich) aufgelöst, sofern ich nicht in die Schweiz würde ziehen wollen.

Abfindung war okay, Abschied war traurig und mein Vertrag läuft noch bis Ende September.

Soweit alles super. Aber nun habe ich festgestellt – vielleicht getrübt durch coronabedingte schlechte Laune und das Verlieren des Arbeitsplatzes von 14 Jahren – dass ich eigentlich nicht genau weiß, was ich kann oder können sollte.

Da ich 14 Jahre lang keinen anderen IT-Kollegen zum Austausch hatte, keine Zertifikate aufweisen kann, 99% Praktiker und 1% Theoretiker sein musste, habe ich im Moment das Gefühl, gar nichts zu können oder zu wissen. Andererseits habe ich 14 Jahre lang die Firma sicher gehalten und alles zum Laufen gebracht, das hätte laufen sollen. Aber durch fehlendes Hintergrundwissen weiß ich fast immer nur „wo ich klicken muss“, aber nicht, was genau im tiefsten Kern der Klick auslöst.
Wisst ihr was ich meine und kennt ihr diese Situation vielleicht selber auch?

Mein Gedanke wäre nun, die Abfindung zu nutzen und beginnend mit den AZ900 die Azure Fundamentals zu beginnen, damit ich etwas Zukunfstweisendes vorweisen kann, sobald die Bewerbungsphase im Herbst beginnt.

Für Anregungen und Ideen, wie man sich als Admin „selbst findet“, aufmunternde Worte und ähnliche Leidensberichte wäre ich sehr dankbar.

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Ausgedruckt am: 28.03.2024 um 19:03 Uhr

Mitglied: Vision2015
Vision2015 20.04.2021 um 13:43:43 Uhr
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moin,

schreib (für dich) doch mal auf, was du sicher kannst, und wozu du lust hast!
das mit dem Azure Fundamentals finde ich nicht schlecht, aber lass das sein- überlege was du in zukunft tun willst.
mit dem wissen würde ich aufbauen wollen, sei es durch schulungen und weiterbildungen etc..


Frank
Mitglied: em-pie
em-pie 20.04.2021 um 14:03:32 Uhr
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Moin.
Zitat von @Vision2015:

moin,

schreib (für dich) doch mal auf, was du sicher kannst, und wozu du lust hast!
Japp, ist auch meine Empfehlung. Ergänzt noch um die Punkte/ Projekte, die besonders (positiv) in den letzten 14 Jahren heraus stachen.
Wenn es Dinge gibt, die weniger gut liefen, prüfe mal, was da doof war und ob du dort mit anderem Wissen erfolgreicher gewesen wärest - wobei die Ursachen ja auch nicht an dir gelegen haben müssen face-smile

das mit dem Azure Fundamentals finde ich nicht schlecht, aber lass das sein- überlege was du in zukunft tun willst.
Auch hier: ACK. willst du dich im Bereich Cloud-Services zukünftig bewegen: Azure Fundamentals. Bringt ja nichts, wenn du nun in Richtung Azure gehst, aber am liebsten Switche "quälst".
mit dem wissen würde ich aufbauen wollen, sei es durch schulungen und weiterbildungen etc..
das ist dann die logische Schlussfolgerung. Kennst du das Ziel, musst du nur die Routenplanung "anwerfen".

Frank

Gruß
em-pie
Mitglied: vossi31
vossi31 20.04.2021 aktualisiert um 14:17:20 Uhr
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Moin,

ich glaube es gibt viele, die so ähnlich wie du arbeiten (müssen) und auf sich allein gestellt sind.
sobald die Bewerbungsphase im Herbst beginnt.
Warum erst im Herbst und nicht jetzt. Dann hast du genug Zeit um ohne Druck die ersten Vorstellungsgespräche einfach mal als Test zu betrachten.
Viel Erfolg!

Henning
Mitglied: Grinskeks
Grinskeks 20.04.2021 um 14:27:04 Uhr
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Moin,

es ist immer gut, seine Schwächen und Stärken in etwa einschätzen zu können.

Was mir hilft, den Überblick zu behalten ist ein digitales Projektlogbuch. Zu jedem Projekt schreibe ich eine kurze Story auf und die wesentlichen Merkmale.
Daraus lässt sich ziemlich einfach ableiten, welche Technologien beispielsweise im Einsatz waren und wo die Schwerpunkte meiner Tätigkeit lagen.

Die Projekterfahrungen helfen wiederum bei Bewerbungen, da man aus seinem Fundus für die Stellenausschreibung relevante Projekte heranziehen und als Referenz nennen kann.

Weiterbildungen machen meiner Meinung nach immer Sinn, allerdings würde ich mich jetzt nicht auf was spezielles einschießen sondern eher universell schauen, was aktuell meine Zielgruppe an Firmen (Branche, Größe etc.) an Technologien nutzt und wohin der Trend geht.
Fundamentals sind gut, richtig Erfahrung mit Azure sammelt man meiner Meinung nur dann, wenn man es regelmäßig nutzt und monatlich ein Budget für Tests einplant. Privat würde ich das nicht investieren.


Gruß
Grinskeks
Mitglied: Doskias
Doskias 20.04.2021 um 15:13:52 Uhr
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Moin,

ich bin auch lange in Systemhäusern rumgetingelt und hab dort kaum Fortbildungen, geschweige denn Zertifikate gehabt. Dann habe ich für mich entschlossen den Operativen Professional zu machen, also eine 2 Jährige Weiterbildung auf Meisterebene. Als ich Damit fertig war, habe ich mich hingesetzt und einmal alles aufgeschrieben was ich gemacht habe. Dabei wie hier schon einige gesagt haben:

1. Die Projekte. Kurze Beschreibung was du gemacht hast, wieviel Budget daran hing (wenn du es weißt), wie viele Mitarbeiter betroffen sind und welche Software und Hardware involviert war.

2. Schreib einmal auf was du alles insgesamt gemacht hast. Mir hat es geholfen bei verschiedenen Personalvermittlern vorstellig zu werden. Nicht, dass ich darüber einen Job gefunden habe, aber die haben so schöne Fragebögen wo sie wissen wollen mit welchen Techniken du schon Erfahrung hast. Da ist dann oft die Möglichkeiten: keine Erfahrung, Grundkenntnisse, Handlungssicher und Expertenkenntnisse als Auswahloption. Der Vorteil: Die haben schon listen mit Techniken, Herstellern, Betriebssystemen, Programmiersprachen, Fachsoftware und und und... Ich hab mich einmal bei einem durch 16 Seiten gearbeitet und war am Ende selbst erstaunt was ich doch schon alles gemacht habe. Ich denke nach 21 Jahren wird es dir ähnlich gehen.

Du schreibst ja selbst:
bei meinem letzten Arbeitgeber war ich 14 Jahre als Netzwerkadmin im Windows Server/Virtualisierungsbereich tätig und habe auch ansonsten alles von 1-3rd Level gemanaged.
und weiter
Da ich 14 Jahre lang keinen anderen IT-Kollegen zum Austausch hatte

Unterm Strich. Du hast 14 Jahre alles an IT gemacht was anfiel und warst dabei auf dich alleine gestellt. Ohne die genaue Umgebung zu kennen, wirst du dann aber eine ganze Menge gemacht haben. Von User anlegen, GPO konfigurieren, Virtualisierung, Firewall, Migrationen, Virenschutz, DSGVO (?) und und und. Stell dich nicht schlechter hin als du bist.

Und um dir deine Angst zu nehmen:
weiß ich fast immer nur „wo ich klicken muss“, aber nicht, was genau im tiefsten Kern der Klick auslöst.
Das geht mir nach mittlerweile 18 Jahren bei Druckern immer noch so face-big-smile Nee, Scherz Beiseite: Das geht (leider) vielen Admins so. Ich kenne einige, die wissen, dass sie (um nur ein recht simples Beispiel zu nennen) die execution Policy bei Powershell auf bypass stellen müssen wissen aber nicht wieso und was das alles auslösen kann. Die IT-Welt ist viel zu groß um alles zu beherrschen und es fehlt halt manchmal echt die Zeit zu hinterfragen wieso das so ist, wenn man alleine ist. Da ist man froh wenn es funktioniert. Schau dich hier im Forum um. Hier findest du einige (will nicht alle sagen) die viel Erfahrung haben und trotzdem Ihre Probleme nicht alleine Lösen können. Da ist zum Beispiel in dem Topic hier Installation von Geräten per GPO steuern ein Admin mit fast 2 Jahrzehnten Berufserfahrung, der es nicht hinbekommt Maus- und Tastaturtreiber zur automatischen Installation per GPO zu erlauben und alle anderen Treiber zu verbieten. Selbst mit Hilfe von anderen Usern hat er es nach 2 Wochen nicht geschafft. Was für ein Trottel, wenn du mich fragst face-smile

Abschließend kann ich dir nur 2 Dinge mit auf den Weg geben:
1. Solange du noch keine Folgeanstellung hast, würde ich keine Fortbildung auf gut Glück machen. Vielleicht landest du irgendwo bei einer großen Firma und darfst den ganzen Tag VMs konfigurieren, überwachen, sichern und ausrollen. Dann brauchst du vielleicht kein Azure. Vielleicht nehmen sie dich aber auch so wie du bist und schicken dich zur Fortbildung. Es wird nie die Stelle geben wo du alles brauchst was du schon gemacht hast. Ebenso weiß jeder Personalchef und IT-Leiter, dass er nicht den findet den er sucht. Auch die wissen, dass sie dir noch was beibringen müssen. Den Bewerber, der 100% genau auf die Stelle passt, den gibt es nicht.
2. Wenn ich so sehe mit welchen Leistungen die IHK-Prüflinge teilweise durch Ihre Prüfungen kommen und anschließend was finden, wirst du mit deiner Berufserfahrung trotz Corona auch was finden.

Gruß
Doskias
Mitglied: GrueneSosseMitSpeck
GrueneSosseMitSpeck 20.04.2021 aktualisiert um 19:01:20 Uhr
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bin in einer ähnlichen Situation. Vor 14 Jahren hab ich einen Job angefangen, dann wurde der Arbeitgeber aufgekauft, und das von einer Firma die ein zweigespaltenes Gehirn hat das es 2 Jahre später fertigbringt, eine große und auch sehr fähige IT-Abteilung komplett aufzulösen, auf der anderen Seite hieß es dann "wir machen IoT für die Industrie des 21. Jahrhunderts". Aber ohne IT-Experten? Vollkommene Idiotie, sowas kann man nicht erst vom Hof jagen und später glauben, daß ein Dienstleister dasselbe leisten kann wenn doch so mancher die Haßkappe aufhat und ganz woanders arbeitet.

So ein, zwei Prozent der IT-ler waren unverzichtbar und die wurden auf Positionen verschoben, die mit IT erstmal so nichts zu tun hatten, aber um dem Dienstleistern die komplizierten Probleme überhaupt darlegen zu können, muß man solche Leute haben, auch für unsere Partner und Kunden.

Mich wurmt das auch ziemlich, weil lt Jobcode krieg ich viele Kurse nicht... stattdsesen "effektive Kundenkommunikation". "Englischtraining". "Sorgfaltspflichten des Arbeitnehmers". Dem TO kann ich folgendes empfehlen:

- Was sind die ehemaligen Kernbereiche?
- Welche Branchen / Arbeitgeber sind interesssant und was muß man tun um da reinzukommen?

So der Mittelstand schaut auch eher auf die praktischen Fähigkeiten, und mit einem FI Abschluß um so leichter. Ich hab 92 als PC-Techniker angefangen, da gabs sowas noch nicht.

Schau dir die Sachen an, die Tools, die Servertechniken. In vielen kann man Zertifikate machen die dann mit der Berufserfahrung zusammen für einen neuen Arbeitgeber interessant sind ohne daß man einen 3000 Euro Kurs besucht haben muß... Citirx-Zertifikate gibts z.B. ohne den Kurs nicht, AWS, Azure und viele MS Produkte schon und kost meist auch unter 200 Euro.
Mitglied: beidermachtvongreyscull
beidermachtvongreyscull 21.04.2021 um 11:21:40 Uhr
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Guten Tag Kollege,

ja ich kenne das. Keine Zertifizierungen, aber jahrzehntelang eine Bude erfolgreich und treu in Betrieb gehalten. Und das soll nichts zählen?
Für manch einen Personaler vielleicht. Aber dann wüsste ich auch, wo ich dran bin.

Vielleicht kannst Du keine Zertifizierungen mitbringen, die uptodate sind oder die zeigen, was Du kannst, aber Dein Arbeitszeugnis dürfte dafür Bände sprechen, zeigen, dass Du treu zu Deinem Unternehmen über lange Zeit gestanden hast, es weist Deine Softskills aus und dürfte zeigen, dass Du mit Menschen umgehen kannst, dass Du Dich in neue Problemmaterie einarbeiten kannst.

Vielleicht hast Du auch ein gutes Netzwerk (aus Kontakten), die Du schnell aquirieren kannst, wenn es darum geht, vertrauenswürdige und einschätzbare Unterstützung in bestimmten Bereichen zu bekommen. Sowas ist aus meiner Sicht unbezahlbar und zeichnet ebenfalls aus.

Nichts gegen die Kollegen, die mit Zertifikaten ganze Ordner füllen. Ich kann mir denken, dass die die Wertschätzung gerne in einer Währung sehen wollen (war ja auch nicht billig), aber das macht noch keinen umgänglichen Menschen aus jemanden. Oder gibt es ein anderes Zertifikat als das AZ, das dieses bestätigt?

Ich halte jeden Menschen für fähig, der gesunde Neugierde mitbringt, dass er auch selbst erarbeiten kann, was ein Klick in tiefsten Tiefen auslöst. Auch Dich und mich!

Also hau rein! Wenn DU glaubst, Du wärst weniger wert als jemand, der Zertifikate ordnerweise auf den Tisch kippt, dann irrst Du Dich.
Es geht darum, Lücken aufzufüllen. Und wer die richtigen Softskills mitbringt, kann das u.U. auf eine Art, die dem Gegenüber die Geduld abringt, dass er sich einarbeiten kann.

Viel Glück!
bdmvg
Mitglied: Anduin
Anduin 23.04.2021 um 14:14:31 Uhr
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Vielen, vielen Dank für euren Input die letzten Tage.
Das war unglaublich wohltuend zu lesen und wahnsinnig interessant für mich, wie es anderen Admins so geht.
Viele Ideen konnte ich zudem auch herausziehen und nun ganz entspannt die Zukunft planen, denke ich.

Ihr seid eine tolle Community! face-smile