BGH: Geheime Videoüberwachung im Mietstreit als Beweismittel unzulässig
Wer heimlich einen Mieter im Treppenhaus vor seiner Wohnungstür mit einer versteckten Kamera überwacht, um herauszufinden, ob dieser seine Wohnung unerlaubt untervermietet, hat vor Gericht wenig Erfolg: Laut BGH dürfen die dabei gemachten Aufnahmen nicht als Beweismittel verwendet werden.
Im Jahr 2017 verdächtigte eine landeseigene Berliner Wohnungsgesellschaft mehrere Mieterinnen, zwei Vier- bzw. Fünfzimmerwohnungen ohne Erlaubnis unterzuvermieten, und mahnte sie deshalb ab. Um den Verdacht zu belegen, beauftragte sie eine Privatdetektivin, eine Kamera vor den jeweiligen Wohnungstüren anzubringen und die Aufnahmen zu dokumentieren. In den vier Wochen der Überwachung öffneten regelmäßig Personen, die nicht die Mieterinnen waren, mit einem eigenen Schlüssel die Türen und betraten die Wohnungen. Die Detektivin konnte Gesichter, Kleidung und den Eingang zur Wohnung erkennen. Daraufhin kündigte die Vermieterin sowohl außerordentlich als auch ordentlich und forderte die Mieterinnen zur Räumung der Wohnungen auf.
Die Mieterinnen weigerten sich, die Wohnungen zu räumen. Eine der Mieterinnen protestierte gegen die heimlichen Videoaufnahmen und verglich das Vorgehen mit Methoden der Stasi. Sie forderte eine Entschädigung für die Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Das Amtsgericht Berlin-Mitte gab den Räumungsklagen statt, wies jedoch die Entschädigungsforderung ab. Das Landgericht Berlin kippte das Urteil hinsichtlich der Räumung, und der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun mit Urteil vom 12.03.2024 – VI ZR 1370/20 folgendes entschieden:
Die Verwertung der Videoaufnahmen ist unzulässig.
Laut den Richtern des Bundesgerichtshofs hat die Wohnungsgesellschaft keinen Anspruch auf die Räumung der Wohnungen, da die Kündigungen das Mietverhältnis nicht rechtsgültig beendet haben. Ein wichtiger Grund für die Kündigung, wie die angebliche unerlaubte Nutzung der Wohnungen, könne nicht berücksichtigt werden, weil sich die Klägerin ausschließlich auf ihre Videoaufnahmen stütze, die von einem Gericht nicht als Beweismittel genutzt werden dürfen.
Die Verwendung der Aufnahmen im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO widerspricht nach Ansicht des BGH dem Datenschutz. Die heimliche Erhebung personenbezogener Daten ist gemäß § 4 Abs. 1 BDSG a.F. unzulässig, da die Aufnahmen in einem Bereich vorgenommen wurden, der in den Schutzbereich der Privatsphäre der Mieter fällt. Auch das Treppenhaus eines Wohnhauses gilt nicht als öffentlich zugänglich, sodass niemand erwarten muss, dort gefilmt zu werden. Eine Abwägung der Interessen fällt laut den Karlsruher Richtern eindeutig zugunsten der gefilmten Personen aus. Ihre Rechte auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 GRCh) und auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) seien erheblich verletzt worden. Der Vermieterin standen hingegen weniger eingreifende Mittel zur Verfügung, wie etwa die Befragung von Nachbarn oder das Durchführen von Scheinanmietungen.
Der VI. Zivilsenat lehnte auch die Verwertung verarbeiteter personenbezogener Daten nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO ab, weil sie nicht im öffentlichen Interesse lag. Zwar sei der Staat verpflichtet, seinen Bürgern eine effektive Rechtspflege zu gewährleisten, die eine umfassende Berücksichtigung des beigebrachten Beweismaterials erfordere. Aber die Wohnungsgesellschaft habe mit den Aufnahmen lediglich ein Indiz angeboten, weil vierwöchiges Geschehen vor einer Wohnungstür noch keinen Beweis für eine Untervermietung zu liefern vermag, solange der Aufenthaltscharakter der gefilmten Personen im Dunkel bleibt.Auch die Kündigung wegen des Vergleichs mit der Stasi habe den Vertrag nicht beenden können. Diese Äußerung sei als Meinungsäußerung von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, sie sei insoweit nach § 193 StGB als Wahrnehmung rechtmäßiger Interessen zu sehen.
Eine Geldentschädigung für die Mieterin gab es allerdings nicht – der BGH hielt die Genugtuung durch das Urteil, welches die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen feststellt, für ausreichend.
Hinsweis:
Derartige Sachverhalte sind oft unterschiedlich und erfordern eine individuelle Bewertung im jeweiligen Kontext. Das Urteil kann daher nicht pauschal auf alle vergleichbaren Vorgänge übertragen werden.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 21.11.2024 auf IT-News-Blog.com veröffentlicht und bleibt das geistige Eigentum des Autors.
Matthias A. Walter
EDV-Sachverständiger | Auditor Datenschutz & IT-Sicherheit
Quellen und Links:
Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH)
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Ge ...
Im Jahr 2017 verdächtigte eine landeseigene Berliner Wohnungsgesellschaft mehrere Mieterinnen, zwei Vier- bzw. Fünfzimmerwohnungen ohne Erlaubnis unterzuvermieten, und mahnte sie deshalb ab. Um den Verdacht zu belegen, beauftragte sie eine Privatdetektivin, eine Kamera vor den jeweiligen Wohnungstüren anzubringen und die Aufnahmen zu dokumentieren. In den vier Wochen der Überwachung öffneten regelmäßig Personen, die nicht die Mieterinnen waren, mit einem eigenen Schlüssel die Türen und betraten die Wohnungen. Die Detektivin konnte Gesichter, Kleidung und den Eingang zur Wohnung erkennen. Daraufhin kündigte die Vermieterin sowohl außerordentlich als auch ordentlich und forderte die Mieterinnen zur Räumung der Wohnungen auf.
Die Mieterinnen weigerten sich, die Wohnungen zu räumen. Eine der Mieterinnen protestierte gegen die heimlichen Videoaufnahmen und verglich das Vorgehen mit Methoden der Stasi. Sie forderte eine Entschädigung für die Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Das Amtsgericht Berlin-Mitte gab den Räumungsklagen statt, wies jedoch die Entschädigungsforderung ab. Das Landgericht Berlin kippte das Urteil hinsichtlich der Räumung, und der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun mit Urteil vom 12.03.2024 – VI ZR 1370/20 folgendes entschieden:
Die Verwertung der Videoaufnahmen ist unzulässig.
Laut den Richtern des Bundesgerichtshofs hat die Wohnungsgesellschaft keinen Anspruch auf die Räumung der Wohnungen, da die Kündigungen das Mietverhältnis nicht rechtsgültig beendet haben. Ein wichtiger Grund für die Kündigung, wie die angebliche unerlaubte Nutzung der Wohnungen, könne nicht berücksichtigt werden, weil sich die Klägerin ausschließlich auf ihre Videoaufnahmen stütze, die von einem Gericht nicht als Beweismittel genutzt werden dürfen.
Die Verwendung der Aufnahmen im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO widerspricht nach Ansicht des BGH dem Datenschutz. Die heimliche Erhebung personenbezogener Daten ist gemäß § 4 Abs. 1 BDSG a.F. unzulässig, da die Aufnahmen in einem Bereich vorgenommen wurden, der in den Schutzbereich der Privatsphäre der Mieter fällt. Auch das Treppenhaus eines Wohnhauses gilt nicht als öffentlich zugänglich, sodass niemand erwarten muss, dort gefilmt zu werden. Eine Abwägung der Interessen fällt laut den Karlsruher Richtern eindeutig zugunsten der gefilmten Personen aus. Ihre Rechte auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 GRCh) und auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) seien erheblich verletzt worden. Der Vermieterin standen hingegen weniger eingreifende Mittel zur Verfügung, wie etwa die Befragung von Nachbarn oder das Durchführen von Scheinanmietungen.
Der VI. Zivilsenat lehnte auch die Verwertung verarbeiteter personenbezogener Daten nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO ab, weil sie nicht im öffentlichen Interesse lag. Zwar sei der Staat verpflichtet, seinen Bürgern eine effektive Rechtspflege zu gewährleisten, die eine umfassende Berücksichtigung des beigebrachten Beweismaterials erfordere. Aber die Wohnungsgesellschaft habe mit den Aufnahmen lediglich ein Indiz angeboten, weil vierwöchiges Geschehen vor einer Wohnungstür noch keinen Beweis für eine Untervermietung zu liefern vermag, solange der Aufenthaltscharakter der gefilmten Personen im Dunkel bleibt.Auch die Kündigung wegen des Vergleichs mit der Stasi habe den Vertrag nicht beenden können. Diese Äußerung sei als Meinungsäußerung von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, sie sei insoweit nach § 193 StGB als Wahrnehmung rechtmäßiger Interessen zu sehen.
Eine Geldentschädigung für die Mieterin gab es allerdings nicht – der BGH hielt die Genugtuung durch das Urteil, welches die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen feststellt, für ausreichend.
Hinsweis:
Derartige Sachverhalte sind oft unterschiedlich und erfordern eine individuelle Bewertung im jeweiligen Kontext. Das Urteil kann daher nicht pauschal auf alle vergleichbaren Vorgänge übertragen werden.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 21.11.2024 auf IT-News-Blog.com veröffentlicht und bleibt das geistige Eigentum des Autors.
Matthias A. Walter
EDV-Sachverständiger | Auditor Datenschutz & IT-Sicherheit
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Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH)
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Ausgedruckt am: 17.12.2024 um 00:12 Uhr
1 Kommentar
Moin,
Da habe ich so meine Zweifel. Ich tippe doch eher auf eine Urheberschaft des Fachverlags C.H.Beck, Redaktion beck-aktuell: rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bgh-vi-zr-1370-20-heimliche-videoueberwachung-mietstreit-beweisverwertung. Der Artikel vom 20.06.2024 klingt doch erstaunlich ähnlich 😉
Gruß
DivideByZero
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 21.11.2024 auf IT-News-Blog.com veröffentlicht und bleibt das geistige Eigentum des Autors.
Da habe ich so meine Zweifel. Ich tippe doch eher auf eine Urheberschaft des Fachverlags C.H.Beck, Redaktion beck-aktuell: rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bgh-vi-zr-1370-20-heimliche-videoueberwachung-mietstreit-beweisverwertung. Der Artikel vom 20.06.2024 klingt doch erstaunlich ähnlich 😉
Gruß
DivideByZero