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01.02.2021, aktualisiert um 13:14:29 Uhr
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Sturm aufs Kapitol: Webseite zeigt Gesichter aus geleakten Videos
Der gewaltsame Angriff auf das Kapitol in Washington, D.C. beschäftigt derzeit nicht nur die Polizei und das FBI, sondern auch Tausende Privatpersonen, die mit eigenen Recherchen versuchen, die Angreifer zu identifizieren.
So ehrenhaft der Versuch aus der Bevölkerung zunächst anmutet, so problematisch ist er auch. Auf der Webseite Faces of the Riot werden Fotos und Videos hochgeladen, die Beteiligte des Angriffs zeigen. Der Internetauftritt wurde erst vor wenigen Tagen ins Leben gerufen und soll das FBI dabei unterstützen, die Angreifer schneller zu identifizieren. Die Webseite selbst ist mit einem Disclaimer versehen, der Privatpersonen davon abrät, selbst Nachforschungen zu den abgebildeten Personen anzustellen. Stattdessen kann über einen Link direkt das FBI informiert werden, wenn eine Identifikation möglich ist. Der anonyme Betreiber von Faces of the Riot erklärte in einem Interview mit dem Magazin Wired, dass die Fotos aus dem sozialen Netzwerk "Parler" stammen. Dieses wird vor allem von Trump-Anhängern aktiv dazu genutzt, Foto- und Bildmaterial des Angriffs vom 6. Januar 2021 hochzuladen. Durch eine Datenlücke war das Material zwischenzeitlich frei zugänglich und konnte so durch Faces of the Riot in Besitz genommen werden. Aus den insgesamt 827 Videos konnte so mithilfe einer Gesichtserfassungssoftware Bildmaterial extrahiert und auf der Webseite übersichtlich dargestellt werden. Das Programm arbeitet so detailliert, dass auch Personen, die nur sehr kurz im Video zu sehen sind, von der Software erkannt und via Screenshot festgehalten werden können. Mit einem Klick auf einen dieser Screenshots auf der Webseite öffnet sich das dazugehörige Video, sodass dem Betrachter eine Einordnung in den Kontext möglich ist. Wichtig ist das vor allem, weil auf den Videos nicht nur die Angreifer selbst, sondern auch Hunderte Unbeteiligte wie Journalisten, Passanten, Schaulustige und natürlich Polizei und Rettungskräfte zu sehen sind. Auf den ersten Blick wirkt die Webseite durchaus nützlich, aber sie hat einen großen Haken: Niemand kontrolliert, wie die Bilder und Videos durch die Nutzer verarbeitet werden.
Wie legal ist Faces of the Riot?
Mit dem Internetauftritt bewegt sich der anonyme Betreiber derzeit in einer Grauzone des amerikanischen Gesetzes. Die Auswertung und Verarbeitung der Videos ist in den USA erlaubt. Dass das Bildmaterial jedoch aus einem Hack des Netzwerks Parler stammt und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, ist juristisch relevant. Dazu kommt, dass Faces of the Riot nicht kontrollieren kann, wie das Material verwendet wird. Bringen Betrachter der Webseite die anonymen Fotos mit weiteren aus dem Internet zusammengetragenen Informationen in Verbindung, liegt eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte vor; und die ist auch in den USA strafbar. So werden ursprünglich anonyme Personen auf Fotos identifizierbar. Beim sogenannten Doxxing wird ein Zusammenhang zwischen allen gesammelten Informationen hergestellt. Nicht selten werden diese veröffentlicht und sind so frei zugänglich. Doxxing geht zumeist mit einem böswilligen Motiv einher und dient beispielsweise der Selbstjustiz; ein Umstand, der auch im Fall des Angriffs auf das Kapitol eine Rolle spielt und dem FBI deswegen Sorgen bereitet. Streng genommen handelt es sich bei Faces of the Riot nicht um Doxxing, da keine personenbezogenen Daten veröffentlicht werden und die Personen auf den Fotos anonym sind. Die Inhalte laden jedoch dazu ein, von Privatpersonen weiterverarbeitet und unter Umständen auch missbräuchlich verwendet zu werden.
Chancen und Grenzen von Gesichtserkennungssoftware in Ermittlungsverfahren
Mit Faces of the Riot gerät einmal mehr die Diskussion um den Nutzen und die Risiken von Gesichtserkennungssoftware in den Vordergrund. Aus datenschutzrechtlicher Sicht wird das Konzept vor allem in Deutschland mehr als kritisch betrachtet. Differenziert betrachtet werden müssen außerdem die Begrifflichkeiten, die rund um das Thema Erkennung, Erfassung und Identifizierung von Gesichtern auf Bild- und Videomaterial vorherrschen. Faces of the Riot bedient sich der sogenannten "facial detection", also der Erfassung von Gesichtern. Hierbei sorgt ein Algorithmus in der Software dafür, dass bestimmte Strukturen im Bildmaterial als Gesicht erkannt werden. Privatanwender kennen die Funktion beispielsweise von ihrer Digitalkamera, die facial detection für den Autofokus verwendet und so Gesichter scharfstellen kann. Davon abzugrenzen ist die facial recognition, also die Erkennung von Gesichtern. Hier werden die erfassten Gesichter mit einer Datenbank abgeglichen, sodass eine Identifizierung der abgelichteten Person möglich ist. Vor allem letzteres sorgt in der öffentlichen Debatte um die Gesichtserkennung in Ermittlungsverfahren regelmäßig für Zündstoff. Die in den Datenbanken gespeicherten Fotos können beispielsweise mit Bildern verglichen werden, die Anwender auf Social Media Kanälen verwenden. Ein Abgleich von Bildern einer Überwachungskamera mit Profilbildern bei Facebook, Twitter und Co. ist so zur Identifizierung problemlos möglich. An persönliche Informationen gelangen die Ermittler jedoch nicht nur über die Informationen, die Anwender beispielsweise auf Facebook zur Verfügung stellen, sondern auch über die Bildersuche von Google. Schnell wird so beispielsweise bekannt, wo die gesuchte Person arbeitet oder ob sie Mitglied in einem Sportverein ist. Problematisch ist auch, dass die dafür benötigte Software auch für Privatanwender leicht zugänglich ist. Im Fall des anonymen Betreibers von Faces of the Riot war sie nicht nur frei erhältlich, sondern sogar kostenlos. Derzeit wird der Einsatz dieser Technologie kaum reglementiert, aber es kommt Bewegung in die Diskussion. So wollen beispielsweise Microsoft und IBM ihre Software zur Gesichtserkennung den Strafverfolgungsbehörden nicht mehr zur Verfügung stellen. Die amerikanischen Demokraten sehen in ihrem Gesetzesentwurf außerdem vor, dass die staatliche Förderung für die Programme eingestellt wird.
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Ausgedruckt am: 21.11.2024 um 16:11 Uhr
1 Kommentar
Hallo,
Zu erwähnen wäre noch, dass Microsoft und IBM gesetzlich gezwungen sind, diesbezüglich zu lügen: https://de.wikipedia.org/wiki/National_Security_Letter
Laut Statistik werden ca. 100.000 derartige Briefe pro Jahr zugestellt, richterlich überprüft wurden durchschnittlich 2-3 (pro Jahr).
Abgesehen davon: Die meisten dieser Daten dürften eh' bei facebook, Apple, Google und Co. liegen und mit eigenen Algorithmen ausgewertet werden.
Fazit: Die Berufung auf den Datenschutz kommt vermutlich eher aus den Marketingabteilungen. Irgendwie erinnert mich das an diese Geschichte vor ein paar Jahren, wo jeder B-Klasse-Promi medienstark verkündet hat, dass er nicht als Wetten-dass-Moderator zur Verfügung steht. Und das sogar, obwohl man ihn nicht einmal gefragt hat
Gruß,
Jörg
So wollen beispielsweise Microsoft und IBM ihre Software zur Gesichtserkennung den Strafverfolgungsbehörden nicht mehr zur Verfügung stellen.
Zu erwähnen wäre noch, dass Microsoft und IBM gesetzlich gezwungen sind, diesbezüglich zu lügen: https://de.wikipedia.org/wiki/National_Security_Letter
Laut Statistik werden ca. 100.000 derartige Briefe pro Jahr zugestellt, richterlich überprüft wurden durchschnittlich 2-3 (pro Jahr).
Abgesehen davon: Die meisten dieser Daten dürften eh' bei facebook, Apple, Google und Co. liegen und mit eigenen Algorithmen ausgewertet werden.
Fazit: Die Berufung auf den Datenschutz kommt vermutlich eher aus den Marketingabteilungen. Irgendwie erinnert mich das an diese Geschichte vor ein paar Jahren, wo jeder B-Klasse-Promi medienstark verkündet hat, dass er nicht als Wetten-dass-Moderator zur Verfügung steht. Und das sogar, obwohl man ihn nicht einmal gefragt hat
Gruß,
Jörg